11. Umzug

11. Umzug

Am vierten Tag nach dem Koma ist alles ein wenig anders. Während ich bisher immer komplett gewaschen wurde, stellt mir die Schwester, die mich heute betreut, einfach nur eine Waschschüssel und meine Waschsachen hin. Ich schaue ein wenig irritiert und meine, dass ich ja bis gestern noch komplett gewaschen worden wäre. Die Schwester meint, dass sie das ja nicht gewusst hätte und ich es halt einfach mal selbst probieren solle. Na bravo! Da sitze ich also schlapp auf meiner Bettkante, mit dem Waschlappen in der Waschschüssel vor mir, einem gefüllten Zahnputzbecher und meiner Zahnbürste daneben und soll alles selber machen. Ich bin ja heilfroh, dass ich eine elektrische Zahnbürste habe. Denn allein das “Hand mit der Bürste hoch halten” war die letzten Tage schon schwer genug und ist auch heute nicht wesentlich leichter. Mit einer Zahnbürste auch noch schrubbeln müssen, das wäre echt zu viel des Guten. Müde und kraftlos drücke ich den Waschlappen aus und wische mir relativ lustlos übers Gesicht. Die hat echt Nerven! Waschen wird sowieso überbewertet, finde ich. Außerdem ist das viel zu anstrengend. Ein wenig hier und da entlang gewischelt, dann hilft die Schwester doch noch ein wenig – vor allem am Rücken. Da käme ich sowieso nicht hin. Ich kann ja die Arme kaum heben, so schwer, wie sie gerade sind und nach hinten verrenken finden auch die schmerzenden Schultern nicht unbedingt lustig. Die Schultern sind nämlich wirklich seit dem Aufwachen das einzige, was mir weh tut. Das kommt wohl vom vielen auf dem Bauch Liegen während der Beatmung, sagt man mir. 

Irgendwann bin ich mehr oder weniger gewaschen und lege mich wieder hin. Die Wascherei war echt anstrengend, viiiiiiiiiel anstrengender, als gewaschen zu werden und das war schon schlimm. Ich brauche erstmal wieder eine Pause. 

Im Laufe des Vormittags erfahre ich, dass ich heute voraussichtlich auf Station kommen werde. Vorher muss aber einiges erledigt werden. Vor allem geht es der Verkabelung an den Kragen. Neben dem EKG, was ja recht leicht zu entfernen ist – Plopp und weg – werden der Venenzugang am Hals und der Arterienkatheter links in der Leiste entfernt. Am Hals geht das noch relativ unspektakulär, auch wenn das Pflaster entfernen des mehrere Tage bereits haftenden und eingeschwitzen Pflasters echt kein Spaß ist. Ich meine, ja klar, so ein Pflaster soll gut halten, so lange es gebraucht wird. Aber das heißt doch nicht, dass es sich deswegen beim Abziehen so anfühlen muss, als würde jemand die Haut drunter auch gleich mit weg rupfen.

Aber was tut man nicht alles auf dem Weg Richtung Gesundheit? Es ist wie so vieles in den letzten Tagen eben ein notwendiges Übel, also Augen zu, Krönchen richten und durch…

Noch spannender ist die Entfernung des Arterienkatheters. So eine Arterie neigt ja dazu, im hübsch regelmäßigen Herzschlag Tempo vor sich hin zu sprudeln, wenn mal ein Loch drin ist, das nicht abgedeckt wird. So dauert es nach dem Ziehen der Zugangskanüle nicht lange, bis ich anfange auszulaufen. Natürlich hat die Schwester gleich das nötige Material parat, um Druck auf die Wunde auszuüben, damit die Sauerei irgendwann nachlässt. Allerdings bin ich dank Corona ja grade auch gut mit Heparin, also mit Blutverdünner, gedoped. Diese Tatsache trägt jetzt nicht unbedingt dazu bei, dass die Wunde sich schneller schließt. 

So dauert es wirklich eine gefühlte Ewigkeit – und ich habe ein wenig den Eindruck, dass die Schwester auch langsam ins Schwitzen kommt – bis ich endlich aufhöre, akut auszulaufen.

Eine schöne Sauerei, die wir da in meinem Bett verursacht haben. Zum Glück muss ich das nicht sauber machen. Aber das ganze, mit auf die Wunde drücken und mithelfen, so weit es eben geht, war doch recht anstrengend. Als ich endlich halbwegs sauber und verpflastert da liege, reicht es mir eigentlich und ich hätte am liebsten meine Ruhe. Leider kommt dann noch eine Schwester und verpasst mir zur Sicherheit einen neuen Zugang auf dem rechten Handrücken. Ist wohl nur eine Vorsichtsmaßnahme, falls doch noch irgendwas sein sollte. Allerdings drückt das doofe Ding bei vielen Bewegungen der Hand und beim Tippen auf dem Handy ist es auch nicht unbedingt angenehm. Also ist das alles andere als schön. Aber das mit dem Thema “angenehm und schön” hatten wir ja bereits mehrfach. Ich will doch eigentlich nur meine Ruhe… und vielleicht noch ein wenig Tee. Es ist halt doch ein Krankenaus und kein Wellnesshotel… Die Erkenntnis, dass eben jener nervige Zugang dann wenig später, kurz vor dem tatsächlichen Umzug, gleich wieder entfernt wird, ist zwar erfreulich, aber irgendwie hätte man sich – und mir – das dann echt ersparen können.

So geht der Vormittag ins Land und noch vor dem Mittagessen werden meine Sachen und ich zusammengepackt und der Umzug auf die Normalstation beginnt. Das schicke OP-Hemdchen, dass die letzten Tage mein Standardoutfit war, weicht jetzt einer Unterhose – die ich meiner Meinung nach gerade gar nicht bräuchte, weils einfach nur ein völlig unnötiger Bewegungsschritt mehr ist, wenn ich mal muss – und einem meiner Jogginganzüge. 

Man glaubt gar nicht, wie praktisch so ein Hemdchen ist und wie unpraktisch so ein Jogginganzug….. Oberteil mit Kopf und Ärmeln, überall die richtigen Löcher treffen und die Arme auch noch durchstrecken und dann noch beide Beine in die Hose und das Ding hochziehen. Es ist einfach elendig anstrengend und ich bin heilfroh, als ich endlich wieder normal liege. Außerdem ist mir sowieso den ganzen Tag warm. Das Fieber ist zwar besser, aber noch nicht ganz weg. Das einzige was die letzten Tage permanent kalt war, waren meine Füße und ich bin heilfroh, dass ich beim Packen meiner Tasche auch an Wollsocken gedacht habe, denn sie sind das einzige, was die Füße die ganze Zeit über wenigstens halbwegs warm gehalten hat. Jetzt bin ich also mehr oder weniger bereit für meinen Umzug.

Aber am liebsten würde ich einfach meine Ruhe haben und schlafen.

Na das kann ja was werden auf Station. So richtig vorstellen kann ich mir das gerade noch nicht. Ich meine, klar bekomme ich auch auf Station alles geliefert, was ich so brauche – was gerade eh nicht allzu viel ist. Herumlaufen darf man außerhalb der Zimmer wegen Corona sowieso nicht – nicht dass ich derzeit weit kommen würde – aber das Pflegepersonal auf Station hat ja viel mehr Patienten gleichzeitig zu versorgen als das auf der Intensivstation. Da kann es dann schon mal vorkommen, dass es länger dauert, bis jemand kommt, wenn man klingelt. Aber ich werde schon klar kommen. Immerhin habe ich ja eh keine Wahl. 

Irgendwann ist es dann so weit. Es geht also im rollenden Bett raus aus der Intensivstation und dann mit dem Aufzug in die passende Etage.

Ich werde in mein neues Zimmer geschoben und stelle fest, dass ich nur ein Zimmer weiter gelandet bin, als vor dem Umzug auf die Intensivstation und jetzt den gleichen Ausblick, nur aus der anderen Richtung, habe. Meine Sachen werden verstaut, ich werde am zimmereigenen Sauerstoff angestöpselt und stelle wenig später fest, dass der Sauerstoff auf der Intensivstation wirklich besser ist… also zumindest die Feuchtigkeit. Meine Nase ist sowieso schon seit Tagen trocken und lebt nur von Bepanthen und die merkt den Unterschied sofort. 

Hier bin ich nun also, im neuen Zimmer, im alten Bett… und mit den aktuellen Problemen. Nachdem alles soweit verstaut ist, wie es sein soll, werde ich endlich in Ruhe gelassen und kann mich von den Umzugstrapazen erholen. Jedoch währt die Ruhe nicht allzu lange, denn wenig später kommt bereits mein Physiotherapeut und macht wieder ein paar Übungen mit mir. Ich muss sicher nicht erwähnen, wie verdammt anstrengend das wieder ist. Das einzige was ich da echt gut finde, ist diese Rüttelplatte, mit der er meinen Rücken abvibriert, um den Schleim zu lockern. Das tut echt gut. Auch die Massage am Bauch, um meiner Verdauung, die mittlerweile wieder angelaufen ist, weiter auf die Sprünge zu helfen ist nicht unangenehm. Wenigstens muss ich mich dabei nicht selber bewegen.

 Noch während er da ist, kommt bereits das Mittagessen. Heute gibt es Cannelloni. Ich setze mich mit Hilfe des Pflegepersonals an den Tisch. Was für eine Weltreise!

Nun sitze ich also am Tisch und werde mit meinem Essen alleine gelassen. Es riecht lecker, aber Hunger habe ich eigentlich keinen. Ich stochere ein wenig im Salat und esse zwei oder drei Blätter vom frischen Grün, ein Löffelchen Suppe, eine halbe Canneloni, ein Löffel Nachtisch….. Das reicht! Mehr passt nicht rein. Echt schade drum. Aber der Magen sagt, dass er voll ist und der Rest vom Körper ist der Meinung, dass es wirklich höchste Zeit ist, zurück ins Bett zu krabbeln. Ich kann nicht mehr. Essen, sitzen… alles, einfach alles ist anstrengend. All die Dinge, die vor wenigen Wochen noch völlig normal und absolut nicht anstrengend waren, sind noch immer so unendlich anstrengend. Daran hat sich bisher nichts geändert. 

Auch wenn ich um einiges kräftiger bin, als noch vor 3 Tagen, ist da nach oben noch verdammt viel Luft.
Ich hangle mich vom Tisch zum Bett und so schnell es in meinem derzeitigen Schneckentempo geht, liege ich wieder und bin fix und fertig. Irgendwann im Lauf des Nachmittags kommt einer der Pfleger zu mir, um nach mir zu sehen. Auch hier werden natürlich Blutdruck, Puls und Temperatur gemessen. Der Pfleger ist einer von den etwas älteren und plaudert munter mit mir, während er meine Werte nimmt. Er kontrolliert auch meine beiden Pflaster. Der Hals ist brav, da suppt nichts, aber die Arterie ist wohl noch nicht ganz wieder dicht. Offensichtlich habe ich da noch ein bisserl was vollgeblutet. Er hilft mir, das ganze zu bereinigen – also eigentlich macht er das alleine – und am Ende liege ich frisch verpflastert mit frischer Unterwäsche wieder im Bett. 

Der Pfleger ist echt nett und wir plaudern ein wenig über dies und das, dann erhole ich mich wieder von den Strapazen der vergangenen Stunden. 

Ich berichte den verschiedensten Leuten – angefangen bei Familie und Freunden -, dass ich jetzt wieder “auf Station” bin. Der Fernseher sorgt währenddessen für “Gesellschaft”. 

Zwischendurch telefoniere ich. Wenn ich genau überlege, telefoniere ich eigentlich die meiste Zeit. Der eine legt auf, der nächste bekommt einen Anruf… Wie gut, dass das Ladekabel in Griffweite liegt.

So vergeht auch der frühe Nachmittag und schon bald trudelt das Abendessen ein. Viel zu früh für meinen Geschmack. Hunger habe ich sowieso kaum und das Mittagessen ist ja gerade mal ein paar Stunden her. Dementsprechend esse ich nur hier und da einen recht lustlosen bissen. Schade um die Brotzeit, denn das Meiste wandert wieder zurück. Mein Magen will einfach nicht mehr. 

Auch beim Abendessen war ich, wie zuletzt bei allen Mahlzeiten, wieder am Tisch gesessen. Ich bin heilfroh, als ich wieder in meinem Bett liege. Auch wenn ich teilweise nicht so recht weiß, wie ich mich legen soll – mal schläft das Bein ein, mal zwackt die Schulter und wenn ich nach links schaue, fahre ich kostenlos Karussell – ist es doch im Bett noch am besten. 

Wenn nur nicht alles so furchtbar anstrengend wäre!

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