13. “… die Straße gleitet fort und fort,…

13. “… die Straße gleitet fort und fort,…

… weg von der Tür wo sie begann zur Ferne hin zu fremdem Ort, ihr folge denn, wer wandern kann. Und einem neuen Ziel sich weihn.” (aus “Der kleine Hobbit” von JRR Tolkien)

Ja mein Weg, meine „Straße“ geht also, nach dem Kräfte zehrenden Mittagessen und dem nicht minder anstrengenden Weg zurück ins Bett, weiter. Nicht sooo weit weg von der Tür, quasi noch nicht mal vor die Tür – ich darf ja eh nicht einfach so aus dem Zimmer raus, selbst wenn ich es könnte. Aber er ist weit, verdammt weit! Das Ziel? Wieder fit sein…irgendwie!

Ein wenig Zeit zum Ausruhen bleibt mir, dann kommt der Pfleger, der mich gestern neu verpflastert hat, um mich zum Röntgen zu karren. Vorher geht es aber noch einmal auf die Waage, oder besser den “Waagestuhl”. Immerhin muss ich da nicht stehen, schließlich ist sitzen anstrengend genug. Dann ziehe ich um in den Rollstuhl, mit dem der Pfleger mich dann zum Röntgen fährt. Dazu muss er mich vom Sauerstoff abstöpseln. Er meint, dass das für die Zeit, die wir brauchen schon OK sein wird. Falls mir die Luft doch nicht reicht, soll ich halt Bescheid sagen, dann kann er mir immer noch Sauerstoff organisieren. Aber eigentlich sollte es kein Problem sein. Als ich die Sauerstoffbrille abnehme und das fast schon gewohnte Rauschen neben den Ohren weg ist, merke ich sehr deutlich, dass das Atmen schwerer ist, als mit der Sauerstoffunterstützung. Aber wir werden ja nicht ewig unterwegs sein und bisher habe ich nicht das Gefühl zu ersticken. Also wird es schon passen. Ich werde also von meinem Chauffeur im”Nobeltaxi” zur Radiologie gefahren. Einmal Lunge röntgen. 

Meinen Schmuck habe ich noch nicht wieder angelegt, also muss ich da auch nichts ablegen, aber ich muss stehen – eine gefühlte Ewigkeit! 

Es waren vermutlich insgesamt keine 2 Minuten, aber meine Knie zittern bereits vor Schwäche und ich bin heilfroh, als ich wieder im Rollstuhl sitze, was ja immer noch anstrengend genug ist. Der Pfleger fragt, ob wir das Bild sehen können, ob ich es überhaupt sehen will. Natürlich will ich. Ich bin wohl während des Komas auch mal geröntgt worden und davor ja auch schon einmal. Aber diese Bilder habe ich nie zu Gesicht bekommen. Umso neugieriger bin ich nun natürlich. Es dauert nicht lange, bis das Bild entwickelt ist und wir es gemeinsam betrachten. 

Meine Güte!!! Dass diese Lunge NICHT gesund aussieht, sehe sogar ich, als Laie. Der Pfleger nickt aber zufrieden und meint dann, dass es bereits viel besser aussieht, als das letzte Bild, das er von mir gesehen hat. Na dann will ich glaube ich lieber nicht wissen, wie schlecht DAS ausgesehen hat. 

Wir treten dann die Rückreise an und der Pfleger steckt mich wieder ins Bett. Wir haben die ganze Zeit geplaudert über alles Mögliche. Er ist echt nett und voll auf Zack, wie ich finde. Ich setze die Sauerstoffbrille wieder auf und atme erst einmal tief durch. Ja, so schnauft es sich schon wirklich leichter. Ich lehne mich erschöpft zurück. Der Ausflug in die Radiologie war ja wirklich mal eine Abwechslung, aber – wer hätts gedacht – verdammt anstrengend. Ich brauche echt eine Pause! 

Nach einer Weile kommt der Pfleger wieder vorbei, um meine Werte zu checken. Dabei meint er dann auch, dass er mit dem Arzt gesprochen hat und vermutet, dass ich den Sauerstoff gar nicht mehr wirklich brauche. Meine Sauerstoffversorgung war während des Röntgens ja recht stabil. Ich solle doch mal versuchen, ob ich ohne den Schlauch klar komme. Wenn nicht, kann ich ihn ja jederzeit wieder nehmen. Aber je eher ich ohne zusätzlichen Sauerstoff klar komme, desto besser ist es natürlich. Er kommt nachher nochmal vorbei, um Sauerstoff zu checken. Wenn es geht soll ich also mal wenigstens eine halbe Stunde oder so abgestöpselt bleiben, weil er wissen will, ob die Werte stabil bleiben. Also hängen wir den Schlauch seitlich an meinem Bett fest. So ist er griffbereit, wenn mir danach ist und ansonsten stört er nicht.
Der spätere Test zeigt, dass meine Lunge wohl recht brav wieder ihren Dienst tut und ich den Sauerstoff wirklich nicht mehr dringend brauche. Meine trockene Nase freut das sehr. Die lebt die letzten Tage nämlich quasi von Bepanthen. So bleibt der Sauerstoff zur Sicherheit in Griffweite hängen, ich brauche ihn aber nicht mehr wirklich.

Irgendwann im Lauf des Tages kommt eine relativ junge Schwester herein, um nach mir zu sehen. Sie meint, ich sei der Grund, dass sie ihren Beruf gerade weitermachen kann. Endlich jemand, der trotz Corona wieder aus der Intensivstation zurückkommt. Sie erzählt, dass ich auf der Station eine kleine Sensation bin, der Silberstreif am Horizont, weil ich den Weg vom Koma zurück geschafft habe und das ja sogar noch relativ gut. 

Im Laufe der nächsten Tage erfahre ich durch einen Zeitungsartikel, den ich über Whatsapp geschickt bekomme, dass ich in diesem Krankenhaus wohl eine von 2 Patientinnen bin, die bisher nach Corona erfolgreich wieder von der Beatmung entwöhnt wurden. Das zeigt mir, dass ich mir wohl nicht eingebildet habe, dass ich auf der Intensivstation mitbekommen habe, wie es mit mehreren Patienten zu Ende gegangen ist. Ich hatte da wirklich Glück im Unglück! 

Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Menschen es allein in diesen paar Tagen, die ich dort war, nicht geschafft haben. Für das Pflegepersonal muss das echt schlimm sein, wenn die Patienten quasi “unter der Hand” wegsterben und man nichts tun kann, als daneben stehen und hilflos zusehen. 

Einer der Ärzte, der im Laufe der Tage immer wieder vorbeischaut, berichtet auch, dass das mit den Patienten an der Beatmung fast ein Glücksspiel ist, bestenfalls mit einer 50:50 Chance… und teilweise sterben Patienten, die eigentlich so weit stabil waren, dann plötzlich innerhalb einer Stunde und sie stehen daneben und können nichts tun, weil einfach nichts hilft.
Einmal mehr bin ich froh, dass ich dann wohl bei den richtigen 50% dabei war. 

Insgesamt ist es aber echt schwer, mehr aus den Ärzten herauszubekommen. Wobei das nicht einmal unbedingt deren Schuld ist. Ich habe so viele Fragen, aber wenn dann Visite ist, bin ich irgendwie so aufgeregt und nervös, dass ich alle vergessen habe. Also kommt die Visite kurz, fragt, wie es mir geht und weg sind sie wieder. Ich bleibe zurück und meine Fragen, die ich dann ja mal wieder nicht gestellt habe, bleiben unbeantwortet.

Ich telefoniere wieder viel mit quasi allen, die ich irgendwie erreiche, vor allem natürlich mit meinem Mann und meinen Eltern. Am Ende des Tages habe ich insgesamt locker 5 oder 6 Stunden telefoniert und bin echt KO. Das sollte ich morgen vielleicht nicht nochmal machen. Aber immerhin wissen jetzt einige Leute mehr, wie es mir geht und wie es mir ergangen ist. Das spart mir viel Tipperei auf dem Handy und die ist ja immer noch unglaublich anstrengend, weil das blöde Ding so verdammt schwer ist.

Natürlich surfe ich auch immer wieder auf Facebook und halte mich, aber auch meine Mitleser auf dem Laufenden. Eine Freundin postet in dieser Zeit einen Spruch, den ich mir als Motto für die kommende Zeit nehme. “Da musst du jetzt durch! Aber du entscheidest, ob du dabei lachst oder weinst!” Ich habe mich entschieden zu lachen!

Ja, es geht mir richtig dreckig und ich fühle mich die ganze Zeit hundsmiserabel, aber hey! Ich lebe noch!!! Wenn das kein Grund ist, zu feiern?! Ähm ja, gut, das mit der Feierei verschieben wir mal auf später. Dafür habe ich gerade nicht wirklich die Kraft. Die reicht ja bisher noch nicht einmal, um alleine zum Klo zu kommen.

Aus dem Zimmer nebenan dringen seit heute immer mal wieder markerschütternde Schmerzensschreie. Ich weiß nicht, was der Patient da drüben hat. Es klingt ein wenig wie Koliken oder so. Denn die Schreie kommen immer mal wieder, in Schüben. 

Mir geht es echt nicht gut, aber ich bin mir zu 100% sicher, dass ich grade jetzt WIRKLICH NICHT tauschen will! So besch…eiden ich mich fühle, wenigstens tut mir nichts groß weh, abgesehen von den Schultern, wenn ich mich drauf legen will.

Mir tut mein Kollege da drüben echt Leid, aber in der Nacht wird das sicher kein Spaß für mich! – für ihn vermutlich auch nicht. 

Der Tag vergeht, der Abend und das Abendessen kommen und irgendwann liege ich im Bett – gut, das wiederum tue ich ja den ganzen Tag schon- und schaue in die Flimmerkiste, meinen Freund und Gesellschafter. Es kommt zwar nichts Weltbewegendes, aber ein wenig Unterhaltung zum immer mal wieder einschlafen und dann wieder zuschauen berieselt mich. Fernschlafen ist echt toll. Immerhin merke ich da immer wieder, dass ich wohl eingeschlafen bin. Irgendwann beschließe ich dann. “Ins Bett zu gehen”, also die Flimmerkiste aus, den Schlafanzug an und Zähne geputzt – natürlich nicht ohne Hilfe, weil der Weg ins Bad ja einer Weltreise gleicht. 

Kaum ist der Fernseher aus, ruft sich das Ticken der vermaledeiten Uhr wieder ins Gedächtnis. Och nööööö, muss das sein? Als die Schwester noch einmal reinkommt und nach mir sieht, jammere ich wegen der Uhr. “Die Uhr? Ach, das ist kein Problem!”, ein Griff nach oben und die Uhr ist von der Wand entfernt und liegt im nächsten Moment draußen auf einem Tischchen. Maaaaaaan, da hätt’ ich ja gestern auch mal drauf kommen können.

Stille!!!… Herrliche untickende Stille! …

Ich atme erleichtert auf. Dann kann ich ja jetzt ruhig einschlafen. Naja, oder eben auch nicht. Als ich gerade am Wegdösen bin, ertönt von nebenan wieder einer jener markerschütternden Schreie. Nein, ich möchte definitiv nicht tauschen!!! Ich bin dann also wieder wach. Lustlos zappe ich noch einmal durch die Sender, bleibe bei einem ollen Schwarzweißfilm hängen und schaue den dann eben noch zu Ende. 

Dann schlafe ich irgendwann wirklich ein, bis die morgendliche Kontrolle meiner Werte mich wieder aus dem Land der Träume reißt.

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