12. Dieser Weg wird kein leichter sein…

12. Dieser Weg wird kein leichter sein…

Neben dem Handy ist der Fernseher ist meine Gesellschaft, also abgesehen vom Pflegepersonal. Wenn man sowieso nur daliegen kann, braucht man ja nicht so wirklich viel. Allerdings brauche ich immer Hilfe wenn ich mal muss. Der “weite” Weg bis zum zimmereigenen Badezimmer ist in so einem Krankenhauszimmer echt extrem weit, wenn man sich quasi nicht auf den Beinen halten kann. An der Hand geführt, mit wackeligen Schritten, wie eine 97 jährige auf rohen Eiern, trete ich also gelegentlich mit Unterstützung diese Weltreise an. Der Marathon ist jedes Mal furchtbar anstrengend. Das war ja mit dem Nachtstuhl auf der Intensiv schon immer echt anstrengend und der stand direkt neben dem Bett. Jetzt muss ich jedes Mal die paar Meter zum Klo laufen – hin UND zurück. Ohne HIlfe ist das derzeit wirklich undenkbar. Ich hätte nie gedacht, dass ich mit meinen gut 40 Jahren mal so herum laufen würde, als hätt ich gerade erst das Laufen gelernt. Aber was muss, das muss, also wird die Reise immer mal wieder angetreten. Ich überlege es mir aber jedes Mal gut, ob ich jetzt wirklich schon wieder muss…

Allerdings muss man sich auch wirklich überlegen, ob und wann man muss. Denn anders als auf der Intensivstation, wo innerhalb von maximal 2-3 Minuten jemand zur Stelle ist, kann das auf Station schon auch mal deutlich länger dauern. Wenn du also dringend musst und es dauert mal eben ne Viertelstunde, ist das dann auch irgendwie doof.

Man weiß halt nie, wie viele andere Patienten gerade auch etwas brauchen und die Pflegekräfte können sich nunmal nicht teilen. 

Wirklich interessantes kommt im Fernsehen auch gerade nicht. Das macht aber nichts, weil ich sowieso komplizierten Handlungen gar nicht folgen könnte.

Irgendwann schalte ich die Kiste ab. Schon vorher habe ich mit Hilfe einer Schwester den Jogging-Anzug gegen einen Schlafanzug getauscht und bin sowieso bettfertig.

Die Nachtschwester kommt vorbei und kontrolliert meine Werte. Ich kann – wie eigentlich ja die ganze Zeit – nicht schlafen und jammere ein wenig darüber. Lavendelöl hat sie leider keines – schade! Mehr als eine Baldriantablette kann sie mir nicht anbieten. Die nehme ich aber gerne,  auch wenn ich jetzt schon weiß, dass sie nicht viel helfen wird. Selbst die Schlaftabletten, die ich vorher bekommen hatte, waren ja nicht viel effektiver als Smarties – mit dem einzigen Unterschied, dass letztere bunt sind und besser schmecken. Als ich das der Schwester gegenüber erwähne, ist sie ein wenig empört und meint, dass Smarties ja schon ein bisserl was anderes wären. 

Nichts desto trotz liege ich dann wach. Der Fernseher ist aus und in der Stille der Nacht dröhnt ein zunehmend lauter werdendes tick, tick, TICK, TICK, TIIICK.

Wer zum Geier hängt in ein Zimmer, in dem geschlafen wird, eine Uhr, die so laut tickt?

Immer lauter wird das Ticken, je mehr ich versuche, es zu überhören. Tagsüber ist es mir nicht aufgefallen, da lief ja der Fernseher.

Mein bisheriges Spaßprogramm – das mit den Bunten Farben und den schönen Bildern – ist hier auf Station ja nicht “installiert”. (Ja gut, die Nebenwirkungen der Medikamente haben halt offensichtlich nachgelassen 😉 ) Das ist einerseits fast schade, da die Bilder teils ein netter Zeitvertreib waren, aber auf der anderen Seite gibt es da einen entscheidenden Vorteil. Kein “Spaßprogramm” heißt nämlich auch “keine Farbwirbel”. Ich kann also endlich die Augen schließen, ohne wenig später seekrank zu werden. Aber ob ich deshalb besser schlafen kann? – Ohne viel vorweg nehmen zu wollen: Nicht wirklich!

Dieses Ticken ist echt nervig und da ich eh schon nicht schlafen kann, nervt es noch um ein Vielfaches mehr. Irgendwann dämmere ich doch ein, nur um dann vom Pflegepersonal geweckt zu werden, indem mir eine Blutdruckmanschette um den Arm geschoben wird, ein Pulsoximeter an den Finger und ein Thermometer ins Ohr gesteckt wird. GNARF! Da hätt ich dann doch endlich mal geschlafen und nun bin ich wieder hellwach. War ja klar. Und das TICKEN, dieses nervtötende TICKEN!!!  

Es hilft alles nichts. Die Nacht schreitet fort und ich schlafe nicht halb so viel, wie ich gerne würde. Naja, aber ich hab ja vorher schon 11 Tage durchgeschlafen… 

Am nächsten Morgen heißt es wieder aufstehen, selber waschen und sich richten. 

Die Schwester bringt mich zum Badezimmer und fragt, ob ich alleine klar komme. Im Sitzen geht das schon. So wartet sie mehr oder weniger vor der Tür, oder schaut kurz nach nebenan, bis ich so weit bin. 

Waschen wird echt überbewertet, finde ich! Mehr als Zähne putzen und ein wenig Katzenwäsche für die obere Hälfte des Körpers schaffe ich nicht. Was solls, der Rest kommt dann eben heute Abend mal dran und was nicht geht, geht halt nicht.

Wenigstens ums Haare kämmen muss ich mich nicht kümmern. Immerhin habe ich noch immer meine schicke Flechtfrisur. Das stellt auch die Schwester, die sich um mich kümmert, fest und wir plaudern ein wenig über die nette Kollegin, die sich die Zeit genommen hat, mir die Haare schön zu machen.

Auch so ist zumindest immer wieder mal für ein wenig Plauderei Zeit. Die Schwester freut sich, dass sie mich wieder sieht. Immerhin hat sie mich vor meinem Aufenthalt auf der Intensivstation schon hier betreut und es war ja nicht klar, ob ich nochmal zurückkomme. Darüber sind wir dann wohl beide froh. 

Der Tagesablauf an sich ist dann auf Station letztlich auch nicht viel anders als auf Intensiv.

Viel zu früh geweckt werden, weil die Werte kontrolliert werden, gefolgt von einem Frühstück, das ich derzeit kaum anrühre. Viel Hunger habe ich ja nicht. Es gibt jetzt wieder Vollkornbrot, Butter, Honig und Joghurt, sowie eine Tasse Tee – genau so, wie ich es vor dem Ausflug in die Intensivstation immer bestellt hatte. 

Zumindest den Tee trinke ich leer und ein wenig Joghurt und ein oder zwei Bissen vom Brot.


Brot mit Butter bestreichen ist auch so eine Tätigkeit, die seit dem Koma ein ungeahntes Schwierigkeitspotential mit sich bringt. So ein Buttermesser ist schon echt verdammt schwer. Damit dann noch die Butter koordiniert auf der Brotscheibe verteilen – Ein Kraftakt! Als ich endlich die Butter – mehr schlecht als recht – verteilt habe und stolz meine selbst bestrichene Scheibe Brot in der Hand halte, zittert meine Hand mit der Brotscheibe vor Erschöpfung und Schwäche wie Espenlaub. 

Die Scheibe Vollkornbrot ist aber auch verdammt schwer mit der Butter oben drauf! Wirklich!
Außerdem musste mein Arm ja schon Schwerstarbeit leisten, als die Butter den Weg auf die Brotscheibe finden sollte. Na das kann ja heiter werden, wenn das so weiter geht. 

Eigentlich bin ich so KO, dass ich mich gerne wieder hinlegen würde, aber ich muss ja erst noch frühstücken. Aber gut, bei meinem riesigen Appetit, geht das vergleichsweise schnell, wenn man davon absieht, dass ich alles gerade sowieso nur in Zeitlupe tue. 

Der Blick aus dem Fenster verspricht einen schönen Tag, aber wirklich genießen kann ich das nicht. Ich MUSS mich wieder hinlegen. Sitzen und frühstücken und existieren und überhaupt alles ist einfach nur elendig anstrengend.

Den Weg vom Tisch zum Bett schaffe ich auch ohne Hilfe. Da kann ich mich ja überall festhalten. Gott bin ich froh, als ich endlich wieder im Bett liege. Ich muss mich erst einmal wieder ausruhen. 

Ich döse also vor mich hin. Zu mehr reicht mein Elan grade echt nicht. Ich bin fix und fertig – nicht, dass das nicht grade eh Dauerzustand wäre, aber eben noch ein Stück geschaffter.

Irgendwann kommt die Dame von der Putztruppe gut vermummt herein. Wir begrüßen uns freundlich und ich setze meine Maske auf, was ich derzeit immer dann tun muss, wenn jemand herein kommt. Sie fragt mich, ob es in Ordnung ist, wenn sie das Fenster öffnet, weils doch arg stickig ist hier. Ich nicke und meine noch, sie soll es dann nur bitte wieder zu machen, bevor sie geht. Sie öffnet also das Fenster, damit ein wenig frische Luft herein kommt und wischt dann –  wie jeden Tag, ja auch schon auf der Intensivstation – alle Flächen, die ich eventuell berührt haben könnte und den Boden. Dann geht sie.

Na toll! Das Fenster ist natürlich noch auf. Kommt sie nochmal wieder? – Natürlich nicht! Im Moment gehts ja noch von der Temperatur her, aber die Luft draußen ist schon arg frisch. Ich hoffe darauf, dass vielleicht gleich eine Schwester rein kommt, um Werte zu messen, oder Wasser zu bringen. Aber leider vergebens. Ich sammle also meine Kräfte, stehe auf und wackle die zwei Schritte zum Tisch und einen weiteren zum Fenster. Hab ich erwähnt, dass das verdammt anstrengend ist? Dann hebe ich den Arm und merke, dass der eigentlich so gar nicht bis zum Fenstergriff hochgehen will. Nicht, dass er nicht lange genug wäre, oder der Griff gar zu weit weg, es ist schlicht so, dass die Muskeln nicht so richtig wollen, wie sie sollen. Es kostet mich ordentlich Willenskraft und Zähne zusammenbeißen, den Arm so weit zu heben, dass die Hand den Griff berührt und dann noch mehr Kraft, um das Fenster zuzudrücken und das blöde Ding herum zu drehen – also den Griff, nicht das ganze Fenster. Mann, mann, mann… und all das nur, weil die Putzfee vergessen hat das Fenster wieder zu zu machen. 

Wenig später liege ich wieder völlig KO in meinem Bett und grummle ein wenig vor mich hin, während der Fernseher vor sich hin rieselt. Ich bekomme nicht einmal richtig mit, was gerade läuft.

Nach ein wenig Ausruhen organisiere ich mir erst einmal etwas zu trinken. Meine Wasserflasche wird aufgefüllt und ich bekomme eine Tasse Tee. Ich soll ja viel trinken, also versuche ich, das denn auch zu tun. Als Berieselung und Gesellschaft läuft weiter der Fernseher, auch wenn nicht wirklich etwas interessantes kommt.
Später greife ich zum Telefon, beantworte Nachrichten, lese ein wenig in facebook, was die Leute so schreiben, schreibe selbst ein wenig und telefoniere dann wieder. Hier und da Bericht erstatten, wie es mir geht, wie es mir ergangen ist, was los ist und so weiter. Ich muss den Leuten ja sagen, dass ich wieder auf Station bin und wie es mir geht. Schließlich hat sich ja herum gesprochen, dass es mich ordentlich erwischt hat. Da will ich natürlich nach und nach auch berichten, dass ich “wieder da” bin. Auch wenn mich , Dank der Corona-Vorschriften, eh keiner besuchen darf.

Telefonieren ist aber auch viel weniger anstrengend, als Tippen. Immerhin muss ich dazu das Telefon nicht halten, sondern kann es einfach auf mir parken und los quasseln.

Am späten Vormittag kommt mein Physiotherapeut vorbei und es heißt wieder abvibrieren, was sehr angenehm ist, abgesehen von der Tatsache, dass ich dafür sitzen muss. Außerdem macht er wieder einige Übungen mit mir. Ich schaffe schon deutlich mehr, als kurz nach dem Aufwachen, aber das heißt nicht, dass ich viel schaffe. Ein paar Bewegungen hier, ein wenig gelockert und geknetet werden da. Es ist elend anstrengend!
Meine Schultern tun mir weh, sodass ich nicht gut seitlich liegen kann zum Schlafen – echt doof, wenn man eigentlich Seitenschläfer ist. Als ich das anmerke, gibt er mir ein paar Tipps, aber viel Helfen kann er ansonsten nicht. Ist halt vom “Auf dem Bauch liegen” während des Komas. Das war ne ungewohnte Position und deshalb sind sie quasi überlastet, also meckert der Körper. So hat er es zwar nicht erklärt, aber letztlich ist es wohl genau das. 

Während er mich noch behandelt, kommt bereits das Mittagessen.

Na bravo das wird wieder ein Spaß. Ich bin von der Physio eigentlich fix und fertig und jetzt heißt es, am Tisch sitzen und essen. Klingt alles leicht, ich weiß, aber das ist es ganz und gar nicht. Auf dem Stuhl sitzen ist einfach wahnsinnig anstrengend und dass ich eigentlich so KO bin, dass ich mich eigentlich nur noch hinlegen will, macht es nicht besser. 

Aber hilft ja nichts. Ich will ja was essen – wenigstens ein wenig. Ein paar Löffel Suppe, etwas Salat, ein paar Bissen vom Hauptgericht und ein, zwei Löffel vom Pudding.

Alles schmeckt eigentlich gut, aber ich bringe nicht all zu viel runter. Der Magen ist ja noch immer nicht sooo viel Essen gewöhnt und ich bin einfach nach wenigen Bissen pappsatt.

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