8. … und wohl noch ein gutes Stück weit!

8. … und wohl noch ein gutes Stück weit!

Der nächste Tag beginnt, wie die anderen auch, mit gewaschen werden. Auch heute ist das wieder furchtbar anstrengend, kalt und hab ich erwähnt, dass es WIRKLICH anstrengend ist? Ich scherze zwar mit der Schwester, die sich um mich kümmert, aber am liebsten wäre es mir, wenn ich einfach liegen bleiben dürfte. Es ist einfach alles so elendig anstrengend und wenn ich die Wahl hätte, würde ich das mit der Wascherei am liebsten auslassen. Natürlich weiß ich, dass es nötig und sinnvoll ist und eigentlich ist es ja auch schön, sich nach einer “durchschwitzten” Nacht wieder ein wenig frischer zu fühlen. Wenn ich mich dabei nur nicht so hundeelend fühlen würde.

Aber irgendwann liege ich frisch gewaschen und frisch bezogen – sowohl ich, als auch das Bett – in meinem Zimmerchen und warte aufs Frühstück. Nicht, dass ich groß Hunger hätte, aber ich muss ja ein bisserl was essen, wenn ich wieder zu Kräften kommen will.

Ich werde von einer Schwester aus dem Bett in den Nachtstuhl bugsiert, weil die Blase mal wieder klingelt. Man glaubt echt nicht, wie anstrengend “aufstehen, sich auf der Stelle drehen und ein paar Tippelschritte nach hinten zu wackeln um dann im Stuhl zu landen“ sein kann. Mir kommt es jedes Mal vor wie ein gewaltiger Kraftakt. Da sitze ich also wieder einmal wie ein Schluck Wasser in der Kurve auf dem Nachtstuhl und warte darauf, dass kommt was halt so kommen will und soll. 

Die Verdauung ist aber noch nicht ganz wieder angekurbelt und wenn oben nicht viel rein wandert, kommt unten sowieso nicht viel raus – abgesehen von der vielen Flüssigkeit, die noch immer munter durch den Venenzugang in mich hinein tröpfelt.

Da sitze ich nun also…. unten ist es ein wenig….luftig… und oben kommt wenig später das Frühstück. Die Schwester will den Sitz wieder auf den Nachtstuhl drauf legen. Ich überlege kurz und meine dann, dass das nicht nötig sei. Nach kurzem Abwägen habe ich für mich entschieden, dass es viel zu anstrengend ist, jetzt nochmal aufzustehen, damit der Sitz zugemacht wird, nur um später, wenn ich dann doch nochmal “muss” wieder aufstehen zu müssen, damit das Loch wieder aufgemacht werden kann. NE! Da sind wir doch einfach mal pragmatisch…. “Das passt schon so… dann kann was oben reinkommt, unten gleich wieder raus…” meine ich mit einem Grinsen. Die Schwester schaut kurz entsetzt “Wirklich?!” -”Ja wirklich…” Ich lächle müde – Sitzen ist ja doch auch recht anstrengend – und widme mich dem Frühstück.

Da gibt es heute zum ersten Mal nach dem Koma Toast. Den hat eine der Schwestern für mich bestellt. Ist relativ weich und lässt sich besser schlucken, als Schwarzbrot, meint sie. Da könnte sie Recht haben.

Dank dem Intensivstations-All-Inklusive-Service bekomme ich meinen Toast mit Butter und Honig bestrichen und in mundgerechte Stücke geschnitten. Da werden Kindheitserinnerungen wach. 

Aber ich wäre auch wirklich kaum in der Lage, das Messer zielgenau und mit dem nötigen Druck Butter und Honig auf den Toast streichen zu lassen. So ein Messer ist echt verdammt schwer, wirklich! Ich hatte es kurz in der Hand und war echt erstaunt, wie schwer sowas sein kann. 

Normal denkt man da ja nicht drüber nach. Aber im Moment ist ja irgendwie alles um ein Vielfaches anstrengender, als ich es in Erinnerung habe.

Das Zuschauen beim Brotstreichen war schon echt anstrengend, aber nun soll ich von den liebevoll bestrichenen und mundgerecht geschnittenen Toaststückchen auch noch was essen. Recht lustlos, weil ich einfach keinen Hunger habe, nehme ich ein paar Bissen. Wobei ich nach jedem Bissen erstmal wieder eine Pause brauche. Sitzen, kauen, schlucken …. echt anstrengend. Hier und da mal ein Schluck Tee, um die Krümel herunter zu spülen, weil die sonst echt ziemlich im Hals kratzen, und ich bin wieder fertig… auch wenn gerade mal eine Scheibe Toast verschwunden ist, bin ich satt, satt und Ko. 

Die Schwester trägt das Tablett weg und empfiehlt mir, wenn es geht, doch noch ein wenig sitzen zu bleiben. Der Rücken würde es mir danken, sonst liege ich mich noch wund. 

Also sitze ich eine Weile da und starre müde ins Leere. Sitzen ist WIRKLICH anstrengend. Zum Glück hat der Nachtstuhl nach allen Seiten “Rauskippschutz”. 

Eine Weile sitze ich so da und bin jetzt durchaus froh, dass ich mir über “ich muss aufs Klo, macht mal bitte jemand den Deckel vom Pot?” keine Gedanken machen muss. Ein wenig zugig ist es schon… aber echt praktisch…irgendwie. Was man sich halt so denkt, wenn man so im Nachtstuhl “abhängt”…

Es ist schon erstaunlich, womit man sich so im Stillen beschäftigt, während man da sitzt und damit beschäftigt ist, dass man einfach existiert. Als eine Schwester kommt, und meinen “Pisspot” mitnimmt, nachdem sie mir wieder ins Bett geholfen hat, fällt mir ein Kartenspiel ein, dass ich zuhause habe. Dort gibt es die Karte “Der Pisspage” und genau die sehe ich vor meinem geistigen Auge und muss schmunzeln – wenn auch mit ein wenig schlechtem Gewissen. Natürlich ist die Schwester kein Pisspage und ich bin ihr echt mehr als dankbar, dass sie sich wirklich nett und umsichtig um mich kümmert und meinen “Dreck” wegräumt, – Ohne das Pflegepersonal wäre ich echt aufgeschmissen und absolut hilflos! – aber irgendwie lässt mich der Gedanke, dass ich jetzt also mal meinen eigenen “Pisspagen” habe einfach innerlich schmunzeln und ist ein kleines Highlight im ansonsten wenig aufregenden Tagesprogramm. 

Immer wieder werden Infusionen nachgelegt, Fieber gemessen, Werte kontrolliert, Blutgase gemessen, Blut abgezapft und und und… Ich lasse alles über mich ergehen – wehren könnte ich mich eh nicht – und letztlich dient alles ja auch nur dazu, meinen Zustand zu überwachen und hier und da an den nötigen Stellschrauben zu drehen, damit er sich hoffentlich schnell verbessert.

Wenn ich gerade daran denke mache ich die Übungen, die der Physiotherapeut mit gesagt hat. Wobei “machen” fast schon übertrieben ist. zwei, drei mal die Faust ballen hier oder mit dem Fuß wackeln oder ein Bein anheben dort. Wirklich viele Wiederholungen schaffe ich da eh nicht, aber die Muskulatur braucht ja immer wieder mal nen Tritt, damit sie wieder auf Vordermann gebracht wird.

Heute hat der Physiotherapeut großes mit mir vor. Erst einmal werde ich gewogen, in einem Wiege-Stuhl. Wow…ich habe 9kg abgenommen die letzten zwei bis drei Wochen. Na wenigstens dafür war der Mist gut, wie es scheint. Ich wollt ja schon lange abnehmen…. aber eigentlich auf etwas andere Weise…

Nach dem Wiegen bekomme ich eine Externe Sauerstoff-Flasche verpasst und ein schickes Wägelchen, wo man sich mit den Armen und dem ganzen Gewicht drauf lehnen kann. 

Ich soll mal ein paar Schritte durch die Intensiv-Station spazieren gehen. Boah der hat gut Reden! Stehen ist ja schon anstrengend und jetzt soll ich auch noch gehen?

Naja… was muss das muss und von nix kommt nix! Also wackle ich wie eine 93 jährige auf rohen Eiern den Gang hoch und wieder herunter. Die Kraft reicht noch für ein wenig Smalltalk nebenher, aber das ganze ist irre anstrengend. Wir unterhalten uns über meinen Beruf als Lehrerin und der Therapeut scherzt, dass er da ja glatt seine Kinder mitbringen könnte, weil die zuhause ja nix lernen, im Homeschooling. Da hätte ich tatsächlich nicht einmal etwas dagegen. Wäre eine willkommene Abwechslung. Aber ich weiß natürlich, dass das gerade nicht geht.

Immer schön ein Fuß nach dem anderen, anheben, senken…. und wieder ein Stück voran gekommen. So drehe ich meine “Runde” und bin nach kurzer Zeit fix und fertig, aber stolz wie Bolle!

Ich bin gelaufen! Eine ganze Runde! Nicht, dass die sonderlich groß gewesen wäre, aber für mich war das eine gefühlte Weltreise. Mit vor Anstrengung zitternden Beinen komme ich wieder an meinem Bett an und der Sauerstoff wird wieder umgestöpselt. Nach einer kurzen Verschnaufpause und ein paar weiteren Übungen, ist der Therapeut wieder weg und ich erhole mich von der anstrengenden Tour. 

Ein Arzt sagt mir, dass ich erfreulich gute Fortschritte mache eventuell schon heute auf Station verlegt werden soll. Die haben ja Nerven! Ich kann ja grad mal halbwegs alleine stehen. Die Schwester, die mich heute betreut, sieht das wohl ähnlich, denn ich bekomme eine kleine Diskussion mit, in der es darum geht, dass “Sie” – ich vermute, sie meint mich -”kann wirklich noch gut einen oder zwei Tage in der Intensiv brauchen, nur weil sie schneller auf die Beine kommt als andere,… Sie hat doch das gleiche Recht, hier zu sein, wie die anderen.” 

Gott, was bin ich der Frau dankbar. Ich weiß wirklich nicht, was ich jetzt auf Station tun würde, so elend und schwach, wie ich mich noch immer fühle. Natürlich gibts auf Station auch Pflegepersonal, dass einem hilft, aber da ist der “Betreuungsschlüssel” halt ein ganz anderer. Auf Intensiv dauert es in den meisten Fällen keine 2 Minuten, bis jemand da ist, wenn man klingelt. Wenn es gar nicht geht, hört man zumindest von irgendwo nebenan oder gegenüber ein entschuldigendes “ICH KOMM GELICH!!” Klar, die Schwester kann ja nicht den anderen Patienten, den sie betreut, einfach fallen lassen, nur weil ich gerade klingle und irgendetwas möchte. Manchmal sind es ja auch kleine Notfälle, die erstmal beseitigt werden müssen. Immerhin gehts uns Intensivpatienten ja allen nicht so richtig gut, sonst wären wir ja nicht hier. Auf Station hat eine Schwester oder ein Pfleger aber halt nicht nur zwei oder drei Patienten zu betreuen, sondern wohl eher das Zehnfache. Gut, viele brauchen ja auch nicht ganz so viel Betreuung, wie ich gerade. Aber wenn drei Leute gleichzeitig Durst haben, oder sonst irgendwas brauchen und dann die nächsten auch gleich noch klingeln… Zerteilen kann sich halt auch das engagierteste Pflegepersonal noch nicht. 

Aber noch bin ich ja in der ITS und habe den all inclusive-Service, den ich ja leider irgendwie auch noch dringend brauche, auch wenn ich mich immer wieder bemühe, möglichst nicht so viel zu brauchen und eher selbst klar zu kommen. Alleine da liegen kriege ich schon ganz gut hin, sogar das am Galgen hoch ziehen, wenn ich wieder zu weit unten im Bett liege, klappt mittlerweile recht gut. All die anderen Dinge, die man so tun würde, mache ich grade sowieso eher nicht. Also beschränke ich mich auf die grundlegenden Bedrürfnisse, hier eine Tasse Tee, dort ein neues Glas Wasser. Immerhin soll ich ja viel trinken, damit das halbe Chemielabor in meinem Inneren gut rausgespült wird. Mittlerweile geht es auch fast ausschließlich auf den Nachtstuhl – übrigens auch am Tag 😉 – Ist zwar jedes Mal ein Kabelsalat und echt anstrengend, aber ein bisserl den Kreislauf anregen und die müden Muskeln aktivieren ist ja wirklich kein Schaden. Aber das da sitzen ist schon echt immer anstrengend.

Ich lenke mich ein wenig mit Fernsehen ab. Wirklich interessantes kommt zwar nicht, aber so ein wenig Berieselung schadet ja nicht. Vielleicht klappt es ja auch mit dem Schlafen. Daheim habe ich immer gerne nachmittags auf dem Sofa “ferngeschlafen”. 

So richtig klappt das heute zwar nicht, aber zumindest ein wenig abgelenkt bin ich und die Zeit vergeht. Am liebsten sind mir da gerade Naturdokus. Die bieten schöne Bilder, wenn ich die Augen offen habe und angenehme Sounds und das ruhige Sprechen des Erklärbären dahinter. Alles, wo ich mehr denken müsste, um einer Storyline zu folgen, ist mir irgendwie zu anstrengend. Auch auf Lesen oder Häkeln habe ich übrigens so gar keine Lust. Viel zu anstrengend.

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