4. Auf Intensiv wirds intensiv…

4. Auf Intensiv wirds intensiv…

Meine Werte – insbesondere die Sauerstoffsättigung im Blut – sind schlecht und die Tendenz geht eher nach unten, als nach oben. Also werde ich auf Intensiv verlegt. Dort bekomme ich erst einmal einen Arterienkatheter verpasst. Was es nicht alles gibt. Mein linker Arm ist jetzt gut verkabelt: Venenzugang, Arterienzugang, lauter Schläuche, die ich hoffentlich nicht aus Versehen bei einer Bewegung heraus reiße. Bequem ist anders. Aber immerhin bekomme ich einige Zeit später, weil ich nachfrage, ob man da nicht irgendwas an der Bequemlichkeit machen kann, eine Polsterschiene. Damit lässt sich das Schlauchgewirr am Arm deutlich besser lagern.
Aber das sind nicht die einzigen Schläuche oder Kabel, die mich nun begleiten. Neben den Infusionen, die schon auf Station in steter Regelmäßigkeit in mich hinein getröpfelt sind, gibts noch das EKG auf der Brust und den Infrarotsensor am Finger, der die Sauerstoffsättigung misst. Links Infusion und Arterienzugang, rechts Sauerstoffsättigung und dazwischen die Kabel vom EKG. Mit “gemütlich auf die Seite drehen” schaut es also ab jetzt eher schlecht aus. Da liege ich nun. Das erste Mal in meinem Leben sehe ich eine Intensivstation live von Innen. 

Ich schaue ja gerne Arztserien, aber wenn man dann so selber live dabei ist, ist das irgendwie nur halb so spannend und schon gar nicht unterhaltsam.

Jetzt werde ich also 24 Stunden, rund um die Uhr überwacht. Den Blutdruck misst man quasi minütlich am Arterienkatheter, das EKG zeichnet seine Linien auf den Monitor und – wer hätte es gedacht – der Puls ist weiterhin hoch. 

Ich fühle mich furchtbar. Der Brustkorb tut weh, und der Hals und der Bauch – eigentlich alles – besonders beim Husten, und danach. Wenn der Husten wenigstens produktiv wäre, aber noch immer ist er eher trocken. Wenn sich doch mal etwas löst, bin ich fast froh, auch wenn es erst einmal höllisch weh tut.

Was im Fernsehen auch keiner zeigt, in der Intensivstation aufs Klo gehen. Das heißt nun, dass, ich aus dem Bett aufstehen und den “Nachtstuhl” benutzen muss. Auf dem sitze ich auch, wenn es Essen gibt. Allerdings ist dann natürlich die Sitzfläche darauf. 

Eine Physiotherapeutin kommt und vibriert meinen Rücken mit einem Gerät ab, das aussieht wie ein zu breit geratener Hobel. Das fühlt sich gut an und soll den Schleim in der Lunge lockern. Wäre ja nicht schlecht. Auch ein paar Atemübungen macht sie mit mir, aber viel schaffe ich da nicht. Es ist einfach alles anstrengend und ich fühle mich hundeelend.

Im Laufe des Tages bekomme ich statt der Sauerstoffbrille eine Sauerstoffmaske. Das finde ich fast angenehmer. Denn mit der Brille war die Nase verdammt trocken und das ist irgendwann auch nicht mehr allzu angenehm. Unter der Maske ist es feuchter, weil sich ja beim Ausatmen die Feuchtigkeit der eigenen Atemluft ein wenig halten kann. 

Außerdem soll ich eine Weile mit einer speziellen Maske atmen, bei der mit Überdruck gearbeitet wird. Es ist eine NIV, eine nichtinvasive Beatmung und soll das Atmen eigentlich leichter machen. Aber irgendwie finde ich das Ding furchtbar. Ich soll mal wenigstens eine halbe Stunde damit üben, wenn es geht.
Ich stehe die halbe Stunde durch, aber angenehm ist das nicht. Die Maske sitzt sehr fest und irgendwie habe ich da darunter eher Beklemmungen, als dass ich mich besser fühle.
Andere Patienten finden das Atmen mit dieser Maske wohl durchaus gut. Es soll ein wenig die Lunge trainieren und dabei aber auch entlasten. Durch das ausatmen gegen den leichten Überdruck bleibt mehr Sauerstoff tief in der Lunge, um hoffentlich ins Blut zu gelangen, weil man ja gegen den Druck ausatmen muss. Andererseits geht das Einatmen sehr leicht, weil die Luft ja mit leichtem Druck ankommt, was die Lunge wiederum entlastet. Eigentlich durchaus sinnvoll, wenn ich so darüber nachdenke. Aber anfühlen tut es sich irgendwie für mich nicht gut. Ich bin ja echt offen für alles, was hilft, aber das Ding und ich werden ziemlich sicher keine Freunde.

Auch bei den Medikamenten gibt es etwas neues. Da mein Zustand wohl nicht nur mir nicht gefällt, versuchen die Ärzte eines der schon für andere Krankheiten zugelassenen Medikamente, die vielleicht bei Covid19 helfen könnten. In meinem Fall war es wohl ein HIV-Mittel. So ganz sicher bin ich mir da nicht. Was ich aber sicher weiß, ist, dass es absolut grausig schmeckt. Der kleine Schluck Flüssigkeit sah ja schon in dem Medikamenten – Becherchen giftig aus. Aber dass es über eine halbe Stunde dauert, um den Geschmack wenigstens halbwegs wieder aus dem Mund zu bekommen – trotz Nachspülen mit Wasser und Tee – BRRRRR, einfach ekelhaft! Aber Medizin soll ja nicht schmecken, sondern helfen. Allerdings hat sich in diesem Fall die Hoffnung leider nicht bestätigt. Mein Zustand ist weiterhin lausig. 


Der erste Tag auf der Intensivstation neigt sich langsam dem Ende zu. Beim Abendessen stelle ich fest, dass das Essen keinen Geschmack mehr hat. Na toll! Nicht einmal dieses Vergnügen bleibt mir. Das Essen hier ist zwar nicht gerade auf Sterneküchen-Niveau, aber für Großküche und vor Ort wieder aufgewärmt, kann man es mittags schon lassen und beim Abendessen gibts ja sowieso Wurst, Käse und Brot. Aber ohne Geschmack macht das Essen erst recht keinen Spaß. Auch so habe ich jedoch nicht all zu viel Appetit.

Am nächsten Tag – oder war das schon der übernächste? So genau kann ich das gar nicht sagen. Irgendwie verschwimmt die Zeit ein wenig, wenn man so in den Tag hinein vegetiert. Recht viel mehr tue ich ja grade nicht. – werde ich von einer Schwester gewaschen. Mit desinfizierenden Einmalwaschhandschuhen werde ich mehr oder weniger komplett abgeschrubbelt. Das ist ganz schön anstrengend, obwohl ich gar nichts tun muss.

Ich fühle ich mich ein klein wenig besser, denke ich. 

Wie jeden Tag schreibe und telefoniere ich mit Familie und Freunden. Meinem Mann erzähle ich noch, dass ich mich ein klein wenig besser fühle und einige Stunden später kommt der große Knall. 

Die Ärzte verkünden mit ernster, sorgenvoller Mine, dass sie mich ins künstliche Koma versetzen möchten, um mich künstlich beatmen zu können. Da muss ich schon erst einmal schlucken. Ich meine, ich fühle mich echt nicht gut, aber dass es so ernst ist, war mir eigentlich gar nicht bewusst. Mir ist schon klar, dass ich nicht zum Spaß auf der Intensivstation liege, aber dass es SO schlimm ist…. 

Der Arzt meint dann noch, dass es auch sein kann, dass ich in die Uniklink verlegt werde, weil sie nur dort die ECMOs haben, also die Geräte, die das Blut außerhalb des Körpers mit Sauerstoff anreichern. Aber das sei noch nicht sicher. Na bravo, das sind ja Aussichten.

Ich rufe meinen Mann an und berichte von der Hiobsbotschaft. Ich, die ich mittlerweile deutlich an Sauerstoffmangel leide, es aber nicht wirklich merke, bin vergleichsweise gelassen. Aber meinem Mann stockt erstmal der Atem. Viel reden ist bei mir sowieso nicht drin. Dazu fühle ich mich schon die letzten Tage zu schwach. Ich bitte ihn, meine Eltern zu informieren. Die sollen schließlich auch wissen, dass ich erstmal ausgeknockt bin. Auch meiner Chefin gebe ich Bescheid. “Die wollen mich an die Beatmung nehmen und ins Koma versetzen. Bin dann also mal out of order”, schreibe ich ihr per Whatsapp. Während ihr beim Lesen der Nachricht das Blut in den Adern gefriert, ist meines vom Fieber noch immer gut erhitzt. 

Ich werde samt Bett zum Vorbereiten fürs Koma gefahren. Mit fast schon stoischer Ruhe lasse ich alles über mich ergehen. Ich denke nicht einmal daran, dass das jetzt vielleicht das Ende sein könnte. Irgendwie ist der Kopf viel zu matschig, um so weit zu denken. “Das muss jetzt halt sein, die wissen schon was sie tun”, denke ich mir, “wird schon wieder…” Fast fühle ich mich getragen, geborgen. Angst habe ich jedenfalls keine. Wird schon werden…

… dann schlafe ich ein.

Während die Ärzte meinem Mann immer wieder von meinem Zustand berichten, der anfangs sehr kritisch ist, schlafe ich mehr oder weniger den Schlaf der Gerechten. Erst hinterher erfahre ich, dass die Ärzte mir ohne Beatmung wohl nur noch ein bis zwei Tage zu leben gegeben hätten. Dementsprechend kritisch waren natürlich auch die ersten Tage im Koma. Es hätte keiner mit Sicherheit sagen können, dass ich es schaffe.

Mein Mann ist daheim. Allein mit der Katze, unter Quarantäne, weil ich ja Corona-Positiv bin, während ich im Schlaf mit dem Tod um das Leben ringe. 

Ihm fällt die Decke auf den Kopf – ich schlafe. 

Er, meine Familie, die Verwandtschaft, Nachbarn, die davon erfahren, Freunde, Kollegen, Bekannte, unglaublich viele Leute sind in dieser Zeit in Gedanken bei mir, bibbern mit meinem Mann und meinen Lieben und hoffen, dass es irgendwie gut ausgeht, dass ich wieder aufwache, dass alles wieder gut wird. 

Es wird gebetet, gehofft, gebangt.

Aus allen Richtungen werden Gebete, gute Wünsche, Hoffnung, positive Energien in meine Richtung geschickt. Das ist nicht nur ein kleiner Bach an positiver Energie, das ist ein großer Strom, der da in meine Richtung fließt. Gute Energie, die ich gerade jetzt sicher bestens gebrauchen kann – ich schlafe.

Mein Zustand bessert sich, langsam, aber stetig. Ich reagiere auf äußere Reize, während ich im Dämmerschlaf gehalten werde. Aus meiner Sicht kann ich nur sagen: Ich schlafe.

Laut den Schwestern nicht unbedingt ruhig und friedlich, aber offensichtlich tief genug, dass ich bewusst nichts von alledem mitbekomme. 
“Am Montag oder Dienstag probieren wir vielleicht mal, ob wir sie wecken können.”
Das ist die hoffnungsfrohe Aussage, welche die Ärzte meinem Mann am zehnten Tag meines Schönheitsschlafes, vor dem Wochenende mitteilen.

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